Schönheit entdeckt man manchmal dort, wo man sie nicht vermutet. So lautet ein geistreicher Gedanke des französischen Autors Marcel Proust. Lange Zeit bin ich spät schlafen gegangen und habe mich intensiv mit klassischer Musik beschäftigt. Nach einer gewissen Übersättigung wuchs in mir der Wunsch, mich anderen, unbekannteren Musikformen zu widmen. Eher zufällig stieß ich dabei auf die Sendung „WDR 3 open – Studio für elektronische Musik“ des Westdeutschen Rundfunks, die ich hier vorstellen und empfehlen möchte. Zu Beginn war ich skeptisch: Will ich mich mit einer solchen Musik beschäftigen? Doch wagte ich den Versuch und ließ das Unvermutete auf mich wirken. Dazu schaltete ich das Licht aus, gab mich diesen seltsam-schönen und teilweise auch verstörenden Klängen hin und mit jeder Sendung wuchs mein Interesse, mich näher mit dieser musikalischen Spielart zu beschäftigen.
Die elektronische Musik ist eine hoch expressive und experimentelle Kunstform. Neben dem Jazz und Rock’n’roll war sie die kulturelle Revolution des 20. Jahrhunderts. Der Begriff ‚Elektronische Musik’ ist allerdings ambivalent und nicht unproblematisch, wenn man bedenkt, dass so unterschiedliche Künstler wie Stockhausen, Vangelis, Kraftwerk oder Trentemoeller zu diesem Genre gezählt werden. So verschieden ihre Werke auch sein mögen, so verbindet doch alle ein charakteristisches Instrumentarium, dass in dieser Form erst mit den technischen Entwicklungen des letzten Jahrhundert ermöglicht wurde: Die Erfindung elektronischer Geräte zur Klangerzeugung, die Erfindung des Synthesizers. – Musik aus den Schaltkreisen, das hatte es vorher in der Musikgeschichte noch nicht gegeben!
Das Studio für elektronische Musik in den Räumen des Westdeutschen Rundfunks in Köln gilt als weltweit erste Einrichtung dieser Art und geht auf das Jahr 1951 zurück.
Es wurde schnell zum bevorzugten Klanglabor für Pioniere wie Karlheinz Stockhausen. Eines seiner zentralen Frühwerke, das Stück „Gesang der Jünglinge“, entstand 1955 in eben diesem Studio und basiert auf einer Synthese rein elektronisch-synthetischer Klänge.
Niemand geringeres als der junge Beatle Paul McCartney wurde durch dieses Werk seinerseits zu experiementellen Klangversuchen angeregt. Ein Beispiel, wie stark der Einfluss der damaligen Avantgarde der elektronischen Musik auf die Entwicklung der Popmusik wirkte. Allein dieses Thema würde Bände füllen.
Die gleichnamige Sendung „WDR 3 open – Studio für elektronische Musik“ wird mittwochs, spät abends von 23.05 bis 0.00 Uhr gesendet und stellt die Vielfalt der Formen vor: Elektronik pur und das ganze Spektrum der Mischformen bis hin zur Klanginstallation. Auf dem selben Sender läuft freitags zur gleichen Uhrzeit eine artverwandte Sendereihe mit dem Titel „WDR 3 open – Studio akustische Kunst“. Hier wird dem neugierigen Hörer alles von akustischer Kunst bis zu tanzbaren Hörspielen vorgestellt. Zu solch später Stunde wird nicht die Masse und der Mainstream bedient, so viel ist sicher, und eine arbeitnehmerfreundliche Sendezeit sieht anders aus. In Zeiten von Internet und Mediatheken sollte ein zeitversetztes Anhören der Sendung kein Problem darstellen. Sollte man meinen, doch leider wird diese Sendung angeblich aus urheberrechtlichen Gründen nur selten in der WDR-Mediathek zur Verfügung gestellt. Ich habe per Mail bei der Pressestelle nach den genaueren Gründen dafür angefragt. Aber leider bleibt der WDR mir bislang Antwort schuldig. Der öffentliche Sender scheint eher nach der Devise zu verfahren: „Schreiben Sie uns. Wenn Sie Glück haben, antworten wir Ihnen“. Das ist nicht besonders service-orientiert: Punktabzug!
Die Sendungen sind thematisch gestaltet. Manchmal liegt der Fokus auf einem bestimmten Komponisten, auf einem Instrument, oder es werden technische Innovationen vorgestellt. In eine der letzten Sendungen wurde zum Beispiel der legendäre Synthi A der britischen Firma EMS präsentiert. Das Gerät wurde Anfang der 1970er Jahre auf den Markt gebracht und war in seinem originellen Aktenkofferdesign äußerst handlich. Besonders beeindruckend und inspirierend fand ich die vorgestellten Werke des Komponisten Thomas Lehn, der eines dieser seltenen Geräte besitzt und häufig in seinen Werken verwendet, in merkwürdig anmutenden Besetzungen wie Schlagwerk, Bassklarinette und Elektronik.
In Zeiten der totalen Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, auch der Musik, möchte man meinen, es gäbe nur noch den Einheitsbrei, der uns täglich in den Mainstream-Medien dargeboten wird. Doch ich glaube, dass die künstlerischen und musikalischen Ausdrucksformen des Menschen noch niemals so vielfältig waren, wie in unserer Zeit. Die vorgestellte Radiosendung des WDR ist dafür nur ein Beispiel. Vielleicht werden hier in Zukunft noch weitere Empfehlungen von meinen Blog-Kollegen folgen.
Der Seitenblick lohnt sich! Mit etwas Sucheifer und Ausdauer stößt man manchmal auf das Schöne dort, wo man es nicht vermutet.