Verity Audio ist Geschichte (1995 – 2023)

8 Nov

Der Vertrieb, der zuletzt die Lautsprecher von Verity Audio in Deutschland vertrieben hat, die Sieveking Sound GmbH & Co KG, hat diese nicht mehr im Programm. Aus einem Anfangsverdacht wurde nach kurzer Recherche Gewissheit. Verity Audio hat seine Geschäfte eingestellt – und das bereits im Dezember 2023. Was jetzt noch abverkauft wird, sind Restbestände bei Händlern…

Die Verity Audio Familie
Das Lautsprecher-Portfolio von Verity Audio

Wie viele andere Audiophile finde ich das jähe Ende über alle Maßen bedauerlich – ja geradezu betrauernswert. Verity Audio war nicht einfach nur ein kleiner Hersteller aus Quebec, der mit einer Handvoll Mitarbeiter Lautsprecher entwickelt und gefertigt hat. Nein, die beiden Gründer, Julien Pelchat and Bruno Bouchand waren angetreten, etliche Dinge anders zu machen. Der Basstreiber des Bassmoduls feuert vorzugsweise nach hinten, um phasenrichtig zu spielen. Für mein Dafürhalten sieht es so herum auch noch besser aus. Der Tief- sowie der Mittel- und Hochtöner residieren in eigenen Gehäusen und sind bei der Ur-Parsifal Encore durch eine Granitplatte und Sorbothan-Füße voneinander entkoppelt. Natürlich konnten die Beiden es nicht einfach bei Standardtreibern in schönen Gehäusen bewenden lassen.

Audio Technology Treiber
Audio Technology Basstreiber (Querschnitt)

Der Verity Audio Parsifal Encore repräsentiert die DNA dieses Herstellers wie kein zweiter Lautsprecher aus dem Portfolio der Kanadier. Im Parsifal Encore stammen der langhubige 8-Zoll-Basstreiber und der 13 cm messende Mitteltöner von Audio Technology.

Audio Technology Flexunits Mittelton-Treiber
Audio Technology Flexunits Mittelton-Treiber

Dieser Mitteltöner! Diesem Hochleistungs-Chassis gebührt eigentlich ein eigener Beitrag. Dieser spielt hinauf bis zu 5500 Hz und dürfte entscheidenden Anteil an der bruchlosen Wiedergabe dieses Ausnahmelautsprechers haben. Der Hochtöner ist eine Textilkalotte aus der Revelator-Serie von Scanspeak. Ein wesentlicher Entwicklungsparameter der Lautsprecher war die zeitrichtige Wiedergabe. Dabei sind nicht nur die erwähnten Treiber, sondern auch die Gehäuseform mit der geneigten Schallwand und die Frequenzweichen von elementarer Bedeutung.

Ich höre fast täglich mit den Verity Audio Parsifal Encore, den Ur-Veritys sozusagen, die diesem Hersteller international zum Durchbruch verholfen haben. Es sind nicht einfach nur phantastische Lautsprecher, sondern Genussmittel. Sie ermöglichen stundenlanges ermüdungsfreies Musikhören und sind zudem eine Augenweide. Die Verarbeitung ist über wirklich jeden Zweifel erhaben, die akustische und optische Integrationsfähigkeit in Wohnräume exzellent. Wer die Lautsprecher von Verity Audio selbst gehört hat, weiß, dass sie klanglich weit über ihre Größe hinauswachsen und sich dabei – sofern im richtig im Hörraum platziert – komplett unsichtbar machen. So hat dCS aus UK diese Lautsprecher für Entwicklung der eigenen Wandler-Komponenten genutzt. Im Gegensatz zu vielen Studio-Monitoren sezieren diese Lautsprecher das musikalische Geschehen nicht nüchtern bis gnadenlos. Die Musik erstrahlt und bleibt immer kohärent. Langzeithören war definitiv ganz weit oben im Pflichtenheft des Entwicklerduos. Dabei muss der Hörer aber auf kein Detail verzichten. Im Gegenteil: es wird alles mühelos hörbar, aber es wird einem nicht um die Ohren gehauen. Je besser die vorgeschaltete Kette, desto magischer gelingt die Wiedergabe. Aber das funktioniert nicht erst ab einem bestimmten Preisniveau der vorgeschalteten Komponenten.

Eine Gewissheit ist für mich immer geblieben: Die Lautsprecher reichen durch, was die Kette zu liefern vermag. Die Parsifals waren nie ein limitierender Faktor oder anders ausgedrückt: Jede Verbesserung bei Quellen, Verstärkung, Stromversorgung und Verkabelung wurde sofort und unmissverständlich hörbar. Kein Raten oder Interpretieren, keine Nuancen, vielmehr ist mit diesen Lautsprechern eine eindeutige und jederzeit hör- und nachvollziehbare Einordnung der Veränderungen in der Kette möglich. Etliche Komponenten kamen und gingen. Die Lautsprecher von Verity Audio blieben!

Wie ich in den einschlägigen Foren lesen konnte, war ich nicht der Einzige, der auf der alten Highend im Frankfurter Hotel Kempinski sein persönliches Erweckungserlebnis mit den Lautsprechern aus Franko-Kanada hatte. Befeuert von Nagra-Elektronik wurde mir das Erlebnis zuteil, das erste Mal nur Musik und keine Lautsprecher zu hören. Oder etwas weniger prosaisch: das Fenster zur Musik war so weit aufgestoßen, wie ich es zuvor noch nicht erlebt und für möglich gehalten hatte. Ich erinnere mich noch heute an die konzentrierte Stille der Zuhörenden im Raum und das Herunterklappen der Unterkiefer nach jedem neuen Stück, das der etwas verschrobene Schweizer Vertriebler zu Gehör brachte.

Verity Audio Parsifal Encore
Verity Audio Parsifal Encore in Klavierlack schwarz

Ich war schockverliebt in diesen Lautsprecher und seine Fähigkeiten. Von da an waren die Parsifal Encore Objekt meiner Begierde und Fixstern meines Hifi-Universums. Leider preislich lange Zeit ebenso weit entfernt wie ein ferner Himmelskörper. Dann gab es schließlich eine Gebraucht-Offerte eines Düsseldorfer Händlers, die den Lautsprecher in Reichweite und schließlich in meinen Hörraum brachte. Ja richtig, sog. ATA-Flight-Cases gab es für diese Lautsprechergeneration der Parsifals als Standard. Auch hier zeigt sich: das Gesamtprodukt ist durchdacht bis ins kleinste Detail und von A bis Z. Es gibt etliche Highend-Lautsprecher in ähnlichen oder höheren Preisregionen. Ein immer wieder nutzbares Mehrwegbehältnis zum Transport ist fast immer Fehlanzeige! Applaus für soviel Weit- und Umsicht!

Eine weit weniger umwerfende Messe-Vorführung nach dem Kempinski-Urknall hat mir aber auch deutlich gezeigt, wie überaus wichtig die korrekte Platzierung dieser Lautsprecher ist. Aus magisch wird sonst schnell medioker. Der Mühe Lohn: das Klangbild rastet regelrecht ein, die Lautsprecher werden unsichtbar und überlassen der Musik die Bühne. Da ist sie wieder, die Magie!

Ich kenne zudem bisher nur einen Hersteller, bei dem der CEO auf die Frage nach der richtigen Positionierung im Raum mit einer ausführlichen Email und exakten Positionsempfehlungen für den konkreten Hörraum antwortet. Dieser Austausch mit Julien Pelchat in 2011 half mir, den Sweet Spot in meinem neuen Hörraum schneller zu finden.

Im Netz gibt eine ganze Menge Gerüchte, die vor allem in amerikanischen Foren über das Ende dieses Herstellers kursieren. Nachvollziehbar sind die meisten, überprüfbar ist für mich keines. Das kleine Unternehmen hat definitiv sehr viel Aufwand in die Entwicklung neuer Komponenten gesteckt, vor allem das wohnraumfüllende und sehr teure Referenzsystem Monsalvat, das umfangreiche 15-teilige Elektronikportfolio oder etwa die Eigenentwicklung von Bändchenhochtönern. Vielleicht war das einfach eine zu große finanzielle Belastung für ein Unternehmen dieser Größe. Dann soll noch ein Großauftrag aus China kurzfristig storniert worden sein, nachdem die Produktion bereits abgeschlossen gewesen sein soll. Ein einziger dieser aufgezählten Gründe erscheint mir hinreichend für das wirtschaftliche Aus.

Leider ist die Investorensuche (bisher) ergebnislos verlaufen. Das, was Andreas Kaufmann für das Unternehmen Leica gewesen ist, würde ich Verity Audio auch wünschen. Hoffen darf man ja…

Verity Audio Line-up

Was bleibt? Eine ganze Phalanx phantastischer Lautsprecher, mit denen die glücklichen Besitzer sicher noch viele Jahre Musik genießen werden. Mein herzlicher Dank geht nach Kanada an die beiden Köpfe Julien und Bruno, die mit ihrer Mannschaft Großartiges geschaffen haben.

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